Stilldemenz - Mythos oder Realität?

 

Stilldemenz - Mythos oder Realität?

 

Vielleicht ist Ihnen die Geschichten vom Autoschlüssel im Kühlschrank, der offen gelassenen Haustür oder dem im Bus vergessenen Baby bereits zu Ohren gekommen. Sie gehören genau so zur Schwangerschaft und Stillzeit wie auch die vielbesagten sauren Gurken. Der Zustand wird umgangssprachlich Stilldemenz genannt, hat aber mit einer Krankheit erfreulicherweise gar nichts zu tun.

 

Was steckt hinter dem Phänomen?

In erster Linie sind es Hormone, die dafür sorgen, dass eine werdende oder frischgebackene Mutter sich nur auf das konzentriert, was jetzt wirklich wichtig im Leben ist: Das heranwachsende oder neugeborene Baby. Und dabei vergisst man eben vieles andere. Der mütterliche Blackout kommt nicht von ungefähr und kann in vielen Fällen ziemlich praktisch sein. "Es ist wichtig und richtig, dass sich der Fokus der Frau jetzt auf die neue Lebenssituation richtet", berichtet Alexandra Mück, eine Hebamme, die das Phänomen nicht nur aus dem Umfeld Ihrer Arbeit, sondern auch von sich selbst kennt. "Gerade in der Anfangszeit mit dem Baby muss man zum Beispiel nicht immer wissen, was für ein Datum ist. Für das Einkaufen reicht eine Weile lang ja auch ein Zettel."

Wenn Sie jetzt aber denken, dass Sie Ihre gesamte Freizeit damit verbringen sollten, Sudoku oder andere Gehirntrainings durchzuführen, bringt das gar nichts. Vielmehr sollten Sie den Zustand einfach als völlig normal annehmen. "Manchmal eignet er sich ja auch ganz prima als kleine Ausrede. Man glaubt gar nicht, wie oft ich das Wort 'stilldoof' höre, wenn es um nicht getätigte Überweisungen für Kursgebühren geht." berichtet die Hebamme weiter.

Wissenschaftler finden erste Beweise

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass bereits wenige Monate vor der Geburt das räumliche Erinnerungsvermögen der werdenden Mutter zurückgeht. Aus diesem Blickwinkel betrachtet scheint es daher normal, dass sich eine Frau an verschiedenste Situationen (siehe Schlüssel im Kühlschrank) nicht mehr erinnern kann. Eine Forschergruppe vom englischen Bradford Institute for Health Research vermutet sogar, dass der veränderte Hormonspiegel während der Schwangerschaft auf spezifische Regionen im Gehirn wirkt, die für die Erinnerung bzw. das Erinnerungsvermögen zuständig sind. Dass die so entstehenden Gedächtnislücken keine Einbildung sind, bestätigt auch die Psychologin Julie Henry von der University of New South Wales in Australien. Sie und ihr Team haben zudem beim Auswerten speziell entwickelter Studien herausgefunden, dass bei Schwangeren und jungen Müttern tatsächlich das Kurzzeitgedächtnis nur mittelmäßig bis schlecht funktioniert.


Vergessen als Baslam für die Seele

Wissenschaftlich ist inzwischen unumstritten: Hormone helfen dem weiblichen Körper, die Geburt besser zu verarbeiten und gleichzeitig die schmerzhaftesten Erinnerungen aus dem Gedächtnis zu löschen. "Eine Geburt ist kein Zuckerschlecken und nur die wenigsten Frauen würden ein zweites Kind bekommen, wenn sie sie so schmerzhaft in Erinnerung hätten, wie sie wirklich war.", erzählt Hebamme Mück weiter. Dass eine werdende bzw. junge Mutter dann nicht nur die Stunden der Geburt sondern gleich auch den Standort des Autos, die Schlüssel im Kühlschrank oder das Schließen der Haustür vergisst, ist daher nur logisch und als Randerscheinung der Schwangerschaft und Stillzeit zu betrachten.

Schlafentzug vermindert zudem die Leistungsfähigkeit des Gehirns

"Wer über einen längeren Zeitraum zu wenig Schlaf abbekommt, ist tagsüber nicht mehr so leistungsfähig", erklärt Jürgen Zulley, Professor für Biologische Psychologie an der Uni Regensburg. "Das Gedächtnis wird schwächer, die Merkfähigkeit lässt nach und man ist gereizter." Dies bedeutet, das durch Babys und Kleinkinder verursachte Schlafstörungen durchaus die Leistungsfähigkeit des Gehirns beträchtlich beeinflussen können. Die Betonung liegt hiebei auf "können", da nicht jeder Mensch gleich auf den Entzug von Schlaf reagiert. Für werdende Mutter gibt der Schlafforscher aber Entwarnung: "Man kann davon ausgehen, dass sich alles wieder regenerieren wird, sobald man ein paar Nächte durchschlafen darf." Wie auch Zulley halten es viele Forscher für sinnvoll, sich so viel Schlaf wie möglich tagsüber zurückzuholen, sich hinzulegen, wenn das Baby schläft oder sich selbst eine Pause zu gönnen, wenn es die Umstände erlauben. Helfen kann auch ein Bettchen für das Kind neben dem Elternbett. Sie müssen dann nachts nicht mehr aufstehen und können Ihr Kleines im Halbschlaf füttern.

Strategien gegen die Vergesslichkeit

Es gibt natürlich den einen oder anderen kleinen Trick, die "Stilldemenz" in Schach zu halten. Das Einfachste ist wohl, sich einen Erinnerungszettel zu schreiben. Ein sorgfältig geführten Kalender kann zudem unterstützend wirken, den Alltag zu meistern. Für die wichtigen Dinge wie Geldbeutel oder Schlüssel sollten Sie sich einen festen Platz suchen. Zudem kann eine gesunde Ernährung und viel Bewegung an der frischen Luft helfen, Körper und Geist auf Trab zu bringen. Ganz wichtig ist aber: Vermeiden Sie Überforderung im Alttag - sich Hilfe zu holen, ist keine Schande. Gerade ein oder zwei Stunden mal ohne das Baby verbringen zu können, wird Ihren Akku ganz schnell wieder auffüllen.

Eins sei noch gesagt: Manche Dinge im Leben sind einfach völlig unwichtig und im Vergleich zu dem, was eine werdene oder frischgebackene Mutter erlebt von einem ganz anderem Rang!

 
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